3 Monate USA

3 Monate, ein viertel meines Jahres.. Ein Viertel..?! Wo ist die Zeit?
Naja, zu Ehren meines vierteljährigen, dachte ich mir ich blicke Mal auf die letzten Monate, auf meine Fahrt mit der Achterbahn, zurück.

 

Zuerst gab es den Abschied.. Ich erinnere mich an den Tag als wäre es gestern gewesen, trotzdem kommt es mir so vor, als wären schon Jahre seitdem vergangen. Ich habe den Abschied (vermutlich im Gegensatz zu euch), gar nicht richtig wahrgenommen. Ich konnte weder richtig weinen, noch mich freuen, weil es sich dafür viel zu unreal angefühlt hat. Ich erinnere mich noch an dem Moment, an dem das Flugzeug gestartet ist & ich mir dachte „du machst es wirklich, du fliegst, kein Weg zurück“ & dann der Moment in meinem Hotelzimmer in New York, mit meinen eher weniger angenehmen Zimmergenossinen, in dem mir bewusst wurde „Du hast dich für ein Jahr verabschiedet, ein Jahr sieht du weder deine Familie, noch deine Freunde, noch deine gewohnten 4 Wände.“ & der mehr als rührende Brief von meiner Mama hat dann doch die ersten richtigen Abschiedstränen kommen lassen. Nachdem der erste Schmerz & Schock vorbei war, kamen dann aber die ganzen Eindrücke. NEW YORK, so groß & anders & berauschend. Ja berauschend ist treffend, denn so habe ich mich gefühlt. Wie benommen bin ich durch die Straßen New Yorks gelaufen, habe versucht all die Eindrücke aufzunehmen, obwohl mein Gehirn noch im Traummodus war. Schneller als ich denken konnte saß ich dann im Flugzeug zu meiner Familie. Diese Gefühle kann ich bis heute nicht beschreiben. Es war Angst, Aufregung, Vorfreude, Unsicherheit, Bauchkribbeln.. fast wie bei einem ersten Date. Den ganzen Flug habe ich überlegt, wie reagierst du auf sie, ist eine Umarmung zu viel, ein Handschütteln zu wenig? Auch wenn du diese Menschen kennst, eigentlich kennst du sie nicht. Du schläfst ab heute Nacht bei Fremden. Dann der Weg aus dem Flugzeug, plötzlich standen sie da & Ich wurde in den Arm genommen. Tonnen von Stein sind in diesem Moment von mir gefallen & das beste Gefühl aller Zeiten kam in mir auf, denn plötzlich waren sie keine Fremden mehr, die ganze Unsicherheit war wie weggeblasen.

Dann die Fahrt nach Hause, ich werde niemals Ellas mürrischen & starrenden Blick vergessen der so viel sagte wie „Mama, ich weiß nicht ob du es gemerkt hast, aber hier sitzt ne Fremde im Auto!“. Dann bin ich angekommen, zu Hause. Ein fremdes Haus, das man plötzlich zu Hause nennen durfte – komische Erfahrung. Der erste Schritt in das Haus, in Mein Zimmer, in mein neues Leben.

Dann die erste Woche, die Verständigung kam mir noch so schwierig vor, aber trotzdem habe ich mich schon so aufgenommen & verstanden gefühlt. Der erste Gang an einen fremden Kühlschrank, der schwierigste Schritt überhaupt! Es waren Wochen voller Euphorie, alles war so neu, toll, groß! Es gab so viel zu sehen, zu machen, zu entdecken. Es gab keine Minute, in der ich Zeit hatte etwas zu vermissen, nur als ich meinen Koffer nach einer Woche endlich ausgepackt hatte, wurde mir bewusst „hier bist du jetzt, für ein volles Jahr.“

Dann der zweite Monat.. vieles war anders. Der erste Monat ist so an mir vorbei gerauscht, er hat sich in meinem Kopf schon fast verflüchtigt. Im zweiten Monat habe ich jedoch angefangen darüber nachzudenken, was ich hier mache, wer ich hier bin. Die Kinder wurden vertrauter, haben angefangen zu lächeln wenn sie mich sehen, zu weinen wenn ich gegangen bin. Das Vorgänger Au Pair war weg, jetzt gibt es nur noch mich hier, ich trage jetzt Tagsüber die Verantwortung.. ganz alleine.

Dann der dritte Monat. Auch bekannt als der Monat der Depression. Plötzlich gibt es nichts mehr zu sehen, nichts mehr zu entdecken. Alles ist Alltag, man hat Höhen und Tiefen, aber plötzlich kommen einem die Tiefen viel tiefer vor als vorher. Ein Lied im Radio, ein Bild von Freunden, ein motziges Kind beim Töpfchen Training, eine Erkältung, alles zieht einen plötzlich wahnsinnig runter. Nicht im Sinne von „ich will heim“, mehr im Sinne von „Was ist der Sinn von dem allem hier?“. In der Trainingsschule wurde uns gesagt: „Ihr werdet an den Punkt kommen, an dem ihr denkt, es war die dümmste Entscheidung eures Lebens das hier zu tun, aber wenn ihr an diesem Punkt vorbei seid, werdet ihr vollständig hier angekommen sein.“.. aber was mache ich hier?

Hier habe ich gelernt, Verantwortung für mehr als mich zu tragen. Ich habe gelernt im Stadtverkehr zu fahren, ohne zu zittern, ein Auto zu fahren das größer ist, als der Mond. Ich habe gelernt über Kleinigkeiten wegzusehen, Ruhe zu bewahren, vor allem wenn es darauf ankommt. Ich habe gelernt, das Fremde zu Familie werden können, Unbekannte zu Freunden, die einen Auffangen & verstehen wie man sich fühlt. Ich habe gelernt, dass es wichtigeres gibt, als eine gute Frisur und hübsche Nägel, denn Leggins sind manchmal doch praktischer ;). Ich habe gelernt nicht nur mich zu organisieren, sondern auch pünktlich mit der richtigen Anzahl an Windeln und Snacks das Haus verlassen zu können. Ich habe verstanden, was es heißt, auch Mal alleine zu sein. Ich habe verstanden, was es heißt eine fremde Kultur anzunehmen & sich anzupassen. Ich habe zwei Kleine Menschen, für die ich mein Leben geben würde, die mir gezeigt haben, wie viel ein Lächeln bedeuten kann. Ich bin in diesen 3 Monaten hier mehr an mir gewachsen, als ich es jemals für möglich gehalten habe.

Jetzt, am Ende des dritten Monats, kann ich schon auf so viel zurückblicken & noch auf so viel nach vorne schauen. Wer weiß wo ich am Ende der nächsten 3 Monate stehen werde.

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Kommentare: 4
  • #1

    mama (Dienstag, 28 Oktober 2014 15:00)

    Dieser Eintrag deines Blogs hat mich tief berührt. Ich freue mich sehr darüber, wie du deine Sicht der Dinge , die du in Amerika bzw. in deiner Familie erlebst, einordnest und für dich wahrnimmst. Du hast, glaube ich, damit schon eine Menge an Erfahrungen gesammelt, die das Leben lebenswert machen und die vor allem für ein harmonisches Miteinander wichtig sind. Ich glaube, du kannst jetzt viel besser verstehen, warum ich meinen Beruf so sehr liebe. Kinder, egal ob die eigenen oder fremde sind das allerschönste Geschenk. Sie halten einen Menschen jung und schärfen den Blick für das, worauf es wirklich ankommt. Kinder sind direkt, das ist oft anstrengend, aber wenn man einen schüchternen Blick oder sogar ein Lächeln zurückbekommt ist das mehr wert, als alles Geld der Welt.Du bist eine tolle Tochter, auf die ich sehr stolz bin. Fühl dich ganz fest gedrückt und umarmt, hab dich lieb! Mama

  • #2

    Dany (Dienstag, 28 Oktober 2014 21:05)

    ;-)
    Ich freu mich so für dich!

  • #3

    gruss von Ottmar (Donnerstag, 30 Oktober 2014 12:16)

    Hallo Ralf.
    ..da steht sehr viel drin…., vor allem auch zwischen den Zeilen……,sehr emotional…..
    Glückwunsch !
    Auf die kannst du so richtig Stolz sein, sie hat das Herz und den Verstand am richtigen Fleck!
    Die wird ihren Weg gehen…
    Die Sorge um eine glückliche und gesunde Heimkehr hast du halt, die wirst du auch nicht los, so lange bis sie wieder da ist….., das ist eben „Elternschicksal“…..
    Grüß sie mal von mir….


    Freundliche Grüße
    Ottmar

  • #4

    oma (Samstag, 08 November 2014 12:27)

    Hallo Nathalie, ich bin gerade bei dir zu Hause und habe gerade deinen Eintrag gelesen. Opa und Oma grüßen dich ganz herzlich und freuen uns sehr, dass du so eine tolle Familie gefunden hast.Wir denken sehr viel an dich, viele liebe Grüße deine Oma und Opa

Wohin du auch gehst,
gehe mit deinem ganzen Herzen. ♥

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